17 Juni 2015

Jüdische Kultur - das Kazimierz (Teil 15)


Das Kazimierz. Das jüdische viertel Krakaus. Keine europäische Stadt prägt die Geschichte im die Juden und deren Verfolgung so sehr wie Krakau. Ihre Spuren sind hautnah zu erleben. Ein Freilichtmuseum, wie das gesamte Krakau .
Es ist ein Anziehungspunkt mit unheimlicher Strahlkraft für Einheimische und Touristen. Abends verwandelt es sich in die Partylocation im Zentrum Krakaus.

Das hippe viertel befindet sich in der südöstlichen Altstadt, die Josef-Dietla-Straße ist so etwas wie die Grenze im Norden. es schmiegt sich direkt am linken Ufer der Weichsel, die in jenen Bereich eine Biegung in Ihren Verlauf vollzieht.

 
Vom Wawel-Hügel bewegen wir uns Richtung Rathaus des lebendigen Viertels. Die St. Michael und Stanislaus-Kirche mit dem Paulinerkloster ist zunächst unser Ziel. Ein mächtiges Bauwerk, direkt an der Weichsel, die Schauplatz geschichtlicher Ereignisse war. So soll der Bischof Stanisaus im Jahre 1079 an jener Stelle in der alten, romanischen Michaeliskirche von König Boleslaw II. Getötet worden sein. Stanislaus wurde daraufhin der Heilige Krakaus, erlangte Heldenstatus, stieg zum Schutzpatron auf. Ein Nationalheiligtum Polens. Im 14. Jahrhundert ließ Kasimir der Große eine gotische Kirche bauen, die die Pauliner übernahmen. 1773 entstand der heutige Bau mit barocken Stilelementen. In der Krypta entstand eine Art Ruhmeshalle. Ein nationaler Pantheon verdienter Poen, der 1876 bis 1880 gebaut wurde. Berühmte Persönlichkeiten, darunter Maler und Komponisten, fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Als wir gerade in die Kirche eintreten wollen, kommt uns eine Gruppe von Männern mit weißen Baumwollgewändern entgegen. Durch eine Tür gehen sie ins benachbarte Grundstück und Gebäude. Klosterschüler waren das. Verwundert schauen wir uns an. Denken uns unseren Teil.



Bereits auf dem Weg zum Paulinerkoster passierten wir ein weiteres Gotteshaus. Auf dem Rückweg kommen wir erneut daran vorbei. Das Augustinerkoster mit seiner mächtigen Kirche. Die gefühlt hundertste Kirche auf unserer Entdeckungstour durch Krakau.




Das ehemalige Rathaus des Kazimierz am Plac Wolnica ist das Ethnografische Museum. Ein großer, ockerfarbener Bau mit Turm, dessen Ursprünge auf das 16. Jahrhundert zurückweisen. durchaus repräsentativ. Kaffeepause. Ein Cafe lädt uns ein. Direkt am Platz. Klein und charmant. Der Inhaber ist ein wahrer Entertainer, unterhält mit seinen Geschichten und Anekdoten die Gäste. So auch uns. 45 Minuten später ziehen wir weiter. Über die Mostowa, Gazowa und Swietego Wawrzynca, hier steht mit der Basiika das nächste überdimensionale Gotteshaus der Christenheit, erkunden wir den Kazimierz. Bisher ein normales Wohnviertel. Noch sehen wir nichts vom Charme und Leben des In-Viertels, nichts von der jüdischen Kultur. Das ändert sich.
Das Kazimierz war das Zentrum des jüdischen Lebens in Krakau. Als eigenständiger Stadt würde es im Mittelalter gegründet, bekannt nach dem herrschenden Oberhaupt Kazimierz. Es sollte Krakau als Handelspartner und als Art Schutzwall dienen.
Entscheidend für die Geschichte ist aber das Dekret von König Jan Olbrecht im Jahr 1495 nach dem großen Stadtrand, das der schuld der jüdischen Bevölkerung angelastet würde. Das Dekret besagt, dass die Juden in Krakauer der Stadt verlassen müssen. Ein Schlag ins Gesicht für alle Juden. Verfolgung setzte bereits vorher ein.
Zwangsläufig siedelten ein Großteil der Krakauer Juden in die nahegelegene Stadt Kazimierz. Wohlhabende, reiche, gut organisiert waren unter ihnen.mit Handel und Geldgeschäften verdienten sie vordergründig ihre Moneten.
Innerhalb der Grenzen Kazimierz schafften sie ihr eigenes reich, ihr eigenes Leben. Das sieht man noch heute.
Erst 1818 erhielt die Juden ihre Berechtigung auf Wohnrecht. Die politische und konfessionelle Gleichberechtigung trat endlich in Kraft. Das muss man sich einmal vorstellen. Kann man gar nicht. Diskriminierung pur.






Das Leben der jüdischen Kultur war 125 Jahre später vorbei. Nahezu ausgeloschen. Von der jüdischen Kultur ist glücklicherweise der Kern des Kasimierz erhalten geblieben. Wir tauchen hinein in diese Welt. Die sogenannte Hohe Synagoge an der Jozefa ist das erste jüdische Bauwerk, welches uns begegnet. Äußerlich erkennen wir sie gar nicht als Gotteshaus. Das verrußte Mauerwerk lässt auf eine lange Geschichte verweisen. In ihrem Erdgeschoss befindet sich ein Büchershop mit Schwerpunkt jüdischer Kultur.




Das Historische erlebt man besonders an der Szeroka. Die Alte Synagoge ist das bedeutendste Bauwerk jüdischen Glaubens in Krakau. Sie stammt aus dem 16. Jahrhundert. Das Jüdische Museum ist darin heute untergebracht. Ein geeigneteres Gebäude hätte man nicht auswählen können. Die Kultur und die Geschichte der Krakauer Juden und deren Verfolgung zu Zeiten des Dritten Reichs informiert jeden Besucher umfänglich. Nach dem Besuch der Fabrik Schindlers muss das heute nicht sein. Einen Zacken Fröhlichkeit wollen wir uns bewahren. Restaurants reihen sich in der Szeroka aneinander. Einen Hauch alter jüdischer Tradition verkörpern sie. Inmitten der Häuser hat die Popper-Synagoge ihr Zuhause. Heute it es ein Kulturhaus. Als wir an ihr vorbeigehen, stürmt gerade eine Horde junger Kids heraus.
 
Die Remuh-Synagoge, schräg gegenüber, es ist das kleinste jüdische Gotteshaus. Mit großem Einsatz der Gemeinschaft wurde sie 1957 restauriert und wird heute noch genutzt. Die Nazi-Schergen hatten sie vernichtet. 1557 war sie erbaut worden, der Vorgänger fiel einem Brand zum Opfer. Fast ein wenig unscheinbar wirkt sie äußerlich, kein unnötiger Protz. Der jüdische Friedhof, einer der ältesten Europas, liegt ein wenig versteckt hinter der Remuh-Synagoge. Im ersten Anlauf finden wir ihn gar nicht. Schauen immer wieder vergebens auf den Stadtplan, zweifeln an uns. Von der Straße Jakuba entdecken wir ihn. Ein mittelgroßes gusseiserne Gitterloch mit Davidstern ermöglicht uns den Blick nach innen. Grabsteine stehen wild und teilweise auch schief auf grasige Untergrund. Einige zeugen von erheblichem Alter. Ein gewisser Rabbiner namens Moses Isserles ist unter ihnen. Kein gewöhnlicher Mensch. Er prägte das jüdische Viertel. Er war der Erbauer der Remuh-Synagoge. Neben dem Talmud studierte er Astronomie, Philosophie und Geschchte. Bekannte Werke hinterieß sein Werk, er verfasste ein noch heute verbindliches jüdisches Gesetzbuch. Ein Gelehrter. Drei ältere Herrschaften gehen gerade demütig über den Friedhof, unterhalten sich leise. Die Kippa auf ihren Köpfen ist der Beweis ihres Glaubens. Touristen sind nicht zu sehen. Wir belassen es durch unsere Sicht durch das Gitter. Die Ruhe gehört den Toten. Er ist einer von zwei im Kazimierz. Es ist der Ältere. Der neue jüdische Friedhof befindet sich in der Nähe. Hinter der Starowislna und den Gleisen der Eisenbahnen stoßen wir sehr schnell auf ihn. Er ist deutlich größer. Demzufolge erhielten viele Juden ihre letzte Ruhe auf dem mystischen Areal. Mit sehr viele Vorsicht, mit großer Demut betreten wir die Wege, blicken über das Meer von Grabmalen. Zentimeter nebeneinander. Ein Großteil der Grabsteine sind aus dem Boden gehoben, stehen schräg und schief, ihre Inschrift ist oftmals verblasst. Die grünliche Verfärbung deutet auf ein langes Dasein hin. Möglicherweise über Jahrhunderte hinweg. Ein befremdlicher Ort, so Unter Toten. Einzig Juden sind hier begraben. Tausende.

Über die Strowislna, eine belebte Straße, Autos und Fahrzeuge rumpeln in dichten Verkehr darüber, die Geschäfte, nicht größer als ein großes Badezimmer, reichen sich wie an einer Perlenschnur aneinander. Mode, Schmuck, Uhren, Nähstübchen, Bäcker, Haushaltswaren. Gleichzeitig ist die Starowislna die grobe östliche Grenze des Kazimierz. Im Norden ist es die Jozefa Dietla. Sie bildet den Übergang zwischen Altstadt mit dem Wawel-Hügel und dem Kazimierz. Damit ist sie Teil der breiten Ringstraße, die rund um die Altstadt führt.
Zurück im Zentrum des Kazimierz. Pause. Kaffee und ein Snack müssen sein. Schnell werden wir in der Miodowa gegenüber der Tempel-Synagoge, ihr Name ist Programm, sie ähnelt tatsächlich einem antiken Tempel, fündig. Es ist die jüngste aller jüdischen Gebetshäuser. Stylisch und modern eingericht. Warme Farben, unter anderem ein Mokkabraun, und junge, freundliche Inhaber sorgen für eine Wohlfühlatmosphäre. Direkt am Fenster sitzen und beobachten wir die vorbeifahrenden Autos und vorbeigehenden Menschen. Die Zeit vergeht. Damit auch unser Nachmittag im Kazimierz. Am Abend werden wir wieder kommen. Zum Essen, zum Trinken. Dann, wenn das Viertel die Lichter anknipst, die Massen in jene Straßen und Gassen strömen.

Die Qual der Wahl. Jüdische Restaurants gibt es genügend. Wir wollen in die jüdische Welt eintauchen. Schlussendlich entscheiden wir uns nach reiflicher Überlegung für das Ariel. Von außen das, was für uns am meisten die Welt der jüdischen Kultur verkörperte. Unerschrocken treten wir ein. Eine andere Welt erwartet uns. Es ist kein Restaurant wie wir es kennen. Moderne Einrichtung mit warmen Farben? Fehlanzeige. Mit der Zeitmaschine geht es 80 Jahre zurück. Die Einrichtung entspricht den Vorstellungen der jüdischen Kultur. Antike Möbel, dunkles Holz und die goldenen Kerzenständer auf den weißen Tischdecken verleihen dem Ganzen eine starke Gediegenheit. Jüdische Glaubenslehrer, hochrangige und angesehene Verfechter der jüdischen Kultur schauen uns mit ihrem klaren Augen und ihrem eindringlichen Blick von den Unmengen an Bildern und Gemälden an der weißen Wand an. Ein wenig fühlen wir uns beobachtet. Generell verhalten wir uns sehr demütig, fast schon gehemmt. Die Atmosphäre lässt Ausgelassenheit nicht zu.  Die Gäste sprechen leise miteinander, eine fast unheimliche Ruhe liegt in der Luft. Keine unnötige Lautstärke, kein unnötiger Lärm. Sehr viel Respekt wird der jüdischen Kultur in den Räumlichkeiten gebraucht. Wir ahmen es ihnen nach. Die Bedienungen, allesamt Männer in feinstem Zwirn gekleidet, entgegen uns freundlich und zuvorkommend. Dennoch nie aufdringlich oder sich in den Vordergrund drängend. Nur selten enthuscht ihnen ein Schmunzeln über den Lippen.
Eine Stunde später sind wir in den letzten Zügen des Nachtisches. Die Zeit in der jüdischen Kultur neigt sich allmählich dem Ende. Eine andere Welt der Tradition, die wir erleben duften.


Nun der Kontrast. Die Szene-Bars und Kneipen haben geöffnet. Eine stylischer und hipper eingerichtet als die andere. Jede hat ihre eigene DNA, ihren Wiedererkennungswert. Einen Platz zu finden ist nahezu unmöglich. Das Viertel wird nun von Einheimischen und Touristen bevölkert. Auffallend viele Engländer darunter. So herrscht nicht nur in den Räumen eine Menge Trubel, auch auf den Straßen. Dementsprechend hoch ist der Lautstärkepegel. Taxis halten im Sekundentakt. Nachts wird es nie ruhig. Das macht  das Kazimierz so dynamisch und anziehend am Abend. Der Kontrast ist dabei gravierend. Am Tag ist es Freilichtmuseum der jüdischen Kultur und Vergangenheit, am Abend verwandelt es sich in ein pulsierendes Abenteuerland.


In zahlreichen Bars und Kneipen finden wir gar keinen Platz. Die Stühle und Tische sind allesamt besetzt. Zum Glück gibt es nicht nur einige in den Straßen des Kazimierz. Irgendwann werden wir fündig. Eine Bar, die die verschiedensten Biersorten aus Polen und aller Welt anbietet. Darunter viele Exoten, von denen wir noch nie etwas gehört haben. Wir sind neugierig. Der Mann hinter der Theke, mit langen Bart und karierten „Holzfällerhemd“ empfiehlt uns seine Favoriten. Wir kosten und probieren uns ein wenig durch. Damit verbringen wir die Zeit bis in die Nacht hinein. Zechen das ein oder andere Pils.
Das Taxi in unser Appartement kostet uns für 3 km schlappe 8 Zloty. Ungläubig schauen wir uns an, drücken dem Fahrer noch Trinkgeld in die Hand und steigen aus.
 

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