21 Juni 2015

Krakau-Zakopane – mit religiösem Abstecher (Teil 19)



90km stehen auf unserem Plan. Von Krakau in den südlichsten Zipfel Polens, nach Zakopane. 90Km durch hügeliges Terrain. Durch ländliche Gegend, durch die Provinz. In die Kultur der Goralen.

Raus geht es aus Krakau. Mit Wehmut. Die Stadt hat uns geflasht, tief beeindruckt. Für uns zählt sie zu den Top 10 der europäischen Geschichte. Jeder wird wieder kommen wollen. Wir auch.

Auf der vierspurigen Schnellstraße fahren wir hinaus, an den Vororten mit den Plattenbauten vorbei. Riesige Einkaufcenter links und rechts fügen sich nahtlos ein. Pulsierend sind die Menschen unterwegs, ob mit Auto, Straßenbahn oder Bus. Die gängigsten europäischen Unternehmen sind vertreten. Kilometerweit sehen wir kein Grün, nur Beton. Wieliczka ignorieren wir heute, dem Salzbergwerk haben wir bereits unsere Stippvisite abgestattet. Also folgen wir der Straße und den Anweisungen des Navis. Bald sind wir auch aus den Randbezirken draußen. Der Verkehr wird flüssiger, die Fahrzeuge weniger.



Myslenice ist der erste größere Ort den wir am Rande passieren. Eine Kleinstadt. Das Gewerbegebiet an der Bundesstraße. Mittelständische Unternehmen haben sich angesiedelt. In die Innenstadt sehen wir nicht. Bürgerfreundlich führt die Kraftfahrstraße um Myslenice herum. Wir sind jetzt ungefähr 30km südlich von Krakau. Die Region wird ländlich, die grüne Natur übernimmt das Zepter, die Städte und Dörfer fügen sich in ihr ein.

Die Hügellandschaft der auslaufenden Beskiden ist bereits vor uns, die Silhouetten der Hohen Tatra bei genauerem Hinsehen bereits zu erahnen. Dementsprechend geht es hoch und runter auf kurvenreicher Strecke. 90 km/h haben wir auf dem Tacho, schneller dürfen wir nicht fahren. Städte wie Lubien, Pcim oder Skolmiena Bial fliegen an uns vorbei. Die Wälder der Beskiden ebenso.

 
 
Einen Abstecher haben wir uns auf den Plan geschrieben. Den nach Kalwaria Zebrzydowska. Kaum auszusprechen. Von der perfekt ausgebauten, vierspurigen Bundesstraße sind wir rechts abgefahren. 10km durch die Prärie. Kalwaria Zebrzydowska liegt in der Mitte zwischen Wadowice, der Stadt, in der der große Papst Johannes Paul II geboren wurde, und dem Ort Glogoczow.
4500 Menschen leben in der Kleinstadt, in der es nur einfaches Leben gibt. Beinahe autark meint man. Unspektakulär eben, abseits von jeglichen Trubel, die Sekunden schlagen ein wenig langsamer. Viel gibt es hier nicht, nur die Gemeinschaft und sich selbst. Und die Natur, die Ruhe.
Zu verdanken ist die Gründung des Ortes einem gewissen Mikolay Zebrzydowski, der auf dem Berg Zarek eine Kirche bauen ließ. Ganz nach der Golgota-Kapelle aus dem heiligen Jerusalem. Ein Bernhardinerkloster entstand zuerst, danach nach und nach Kirchen und Kapellen. Meist auf den umliegenden Bergen. Die erhielten Namen: Ölberg, Ziom oder Golgota. Der Fluss im Tal wurde Cedron getauft. Benannt nach den jerusalemischen Vorbildern. Anstoß für Zebrzydowski waren die Schriften Adrichomius, der das Heilige Land und das Leben Jesus Christus detailliert beschrieb. Für ihn war die Ähnlichkeit der Topographie zu Jerusalem verblüffend. Für ihn war sofort klar, hier, am Rand der Beskiden die göttliche Geschichte samt Kreuzigungsweg vollständig nachzuempfinden. Palast des Pilatus, Ölberg, letztes Abendmahl oder die Last des Kreuzes sind nur einige Beispiele jener Motive. Sein Sohn Jan setzte das Lebenswerk fort. Dessen Sohn ebenfalls.So kamen 40 Kapellen, Kirchen und religiöse Bauten in der unmittelbaren Umgebung zusammen. Ein ganzer Komplex voller Individualität, Originalität und der Liebe zu Jesus Christus. 30 Jahre benötigten sie dafür.
Im Laufe der Jahrzehnte wurden immer wieder bauliche Veränderungen vorgenommen bzw. wieder korrigiert. 1999 wurde das Franziskanerkloster in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. Es ist eine der meistbesuchten Pilgerstätten Polens, eine mit der interessantesten Geschichte dahinter.

So recht wissen wir nicht, wo wir hin müssen, sind auch nicht mit spezifischen Hintergrundinformationen geimpft. Der Kalwarienberg mit der Kirche ist bereits aus der Ferne zu sehen. Daran orientieren wir uns, dort kommen wir Minuten später an. Wer gedacht hat, uns erwartet ein Prunk- und Prachtbau, der täuscht. Wir stehen vor einer Kirche, eigentlich nichts Außergewöhnliches. Keine spezielle Architektur. Nichts besonderes. Wir sind enttäuscht, haben uns mehr erwartet. Der Blick in die weite grüne und hügelige Landschaft in Richtung Süden ist bemerkenswert. Bemerkenswerter als das Gotteshaus. Die überdimensionale Statue des Papst Johannes Paul II. ist dabei nur nebenbei zu nennen. Sie ist mittlerweile obligatorisch. Ein Informationszentrum oder eine Landkarte finden wir nicht, probieren es anschließend noch einmal im Ort. So richtig werden wir nicht fündig. Wir glauben, uns geirrt zu haben. Es muss noch ein anderes Kalwaria Zebrzydowska existieren. Hinterher bestätigt sich diese Einschätzung nicht, im Gegenteil. Wir waren richtig, vielleicht nicht am Pilgerzentrum. Jedoch in der Stätte und somit Besucher einer göttlichen Anlage voller religiöser Glaubenskraft.


Zurück auf der Tangente Krakau-Zakopane. Es geht langsamer voran. Der Verkehr wird zähflüssiger. Kein Wunder, die Straße sind von insgesamt vier auf zwei Fahrbahnen reduziert. Die Lkws quälen sich die Berge hinauf.

Rabka Zdroj ist der nächst größere Ort. Ein Kurort dazu, besonders für Kinder. Auf den ersten Anschein eine gewöhnliche Kleinstadt, nichts ist von Kuranlagen und -einrichtungen zu sehen. Kliniken, Sanatorien und Heilanstalten scheinen dennoch zu existieren. Dabei ist er seit 1864 als Heilort bekannt. Also traditionsreich. Die Solequellen machen es möglich, das Mineralwasser scheint auch seine heilende Wirkung nicht zu verfehlen. Früher, im Mittelalter, wurde im Ort das Salz abgebaut, ehe die Entwicklung zum Kurort für Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen einsetzte. Speziell zum Kinderkurort. Hinzu kommt die Umgebung, die Natur. Ein Pluspunkt. Die Nähe zum Nationalpark und zum Gebirge, die große Fläche an bewaldeten Zonen sorgen nicht nur für ein gesundes Luftklima, sondern ist Ausgangsstation für Aktivitäten für Touren und Ausflüge. Eine Besonderheit hat Rabka Zdroj noch, das Puppentheater genießt große Anerkennung.

Wir durchfahren die Podhale, das polnische Hochland nördlich der Hohen Tatra. Der Gorce-Nationalpark streifen wir linker Hand seit einiger Zeit. Er konzentriert sich hauptsächlich um das Gorce-Gebirge, einem Teil der Beskiden. Sanfte Berge, langgezogener Höhenkamm, steil abfallende Felsen, spektakuläre Aussichtspunkte. Vielfältige Charakterzüge bestimmen das Landschaftsbild, das hauptsächlich von Wäldern bedeckt ist. Braunbären, Luchse, Wildschweine, Hirsche und Bussarde, Eulen sind die vorherrschenden Tiere im Nationalpark.


Die Goralen prägen mit ihrer Tradition und Folklore die Region, legen noch heute besonderen Wert auf das Ausleben ihrer Kultur. Wenn auch teilweise zu Tourismuszwecken. Die Schnitzwerke an ihren typischen Holzhäuser sind ein äußerliches Charakter- und Alleinstellungsmerkmal. Der Oscypek ist so ein Produkt dieser interessanten Bevölkerungsgruppe. Seit Jahrhundert wird der Hartkäse von ihnen aus Schafsmilch hergestellt, zur Eigenversorgung und zum Verkauf.
Blick auf die Berge der Hohen Tatra

Bis Zakopane ist es nicht mehr weit. Allmählich zieht es sich. Die Dämmerung setzt langsam ein, es geht 16 Uhr entgegen. Da ist dunkel. Nowy Targ, mit 30000 Einwohnern, ist die Hauptstadt des polnischen Hochlandes. Die beiden Flüsse des Dunjajec, der Schwarze und der Weiße, fließen hier zusammen. Die Industrie bestimmt das Geschehen in der Stadt. Nowy Targ ist bekannt für die Bauernmärkte, auf denen Händler oder Privatleute sämtliche Waren verkauft werden. Dinge des täglichen Bedarfs, Obst, Gemüse, Textilien, Möbel oder sogar Tieren werden angeboten. Schnäppchen sind garantiert.

Prunkvolle und prächtige Bauten sind eher die Seltenheit. Einzig zwei Kirchen ragen heraus. Die Holzkirche St. Anna und die barocke Katharinenkirche. Die Gotteshäuser, nicht die beiden, waren Anlass für die Gründung Nowy targs, dass ins Deutsche Neumarkt übersetzt wird. Deutsche Kolonisten bevölkerten die Stadt, die das Gros Nowy Targs stellten. Walddeutsche wurden sie genannt. Sie sorgten für die waldhufenähnlichen Dörfer und Siedlungen im gesamten Gebiet der polnischen Karpaten. Spuren finden sich noch heute in manchen Familiennamen wieder, die den deutschen ähnlich klingen.

Schnell lassen wir das unspektakuläre Nowy Targ hinter uns, bis Zakopane sind es nur noch wenige Kilometer. Unser Ziel des heutigen Tages. Die Dunkelheit hat zwischenzeitlich Einzug gehalten. Damit brechen der Abend an und läutet für uns den Ausklang einer Übergangsetappe ein.

Keine Kommentare: