05 Juli 2015

Przemysl, Jaroslaw, Rzesow - Das Karpatenvorland (Teil 27)


Über Sanok fahren wir durch das hügelige Karpatenvorland. Hoch und runter führt uns die Straße, Serpentinen hinauf und hinunter. Winzige Ortschaften passieren wir. Tyrawa Woloska ist noch einer der größten unter ihnen. Kuzmina, Boguzowka, Stara Bircza oder Korzeniec stehen für eine dünn besiedelte Region, die 1947 eine große Vertreibungswelle der ukrainischen Minderheit zu bewältigen hatte. Manchmal sieht man einen alten Traktor über die Feldwege fahren, einige sind auf ihren Drahteseln unterwegs, andere beobachten den vorbei rasenden Verkehr. Vorwiegend ältere Menschen sind anzutreffen. Die Landschaft ist dafür umso einzigartiger. Mutter Natur hat sich das Flecken Erde wieder zurückgeholt. Weite Wiesen und Felder wechseln sich mit dicht bewachsenen Wäldern ab. Abseits jeglicher Zivilisation. Die Unberührtheit und Einsamkeit entschleunigt, entspannt. Ab dem Örtchen Olzany begleitet uns der San auf linker Flanke bis nach Przemysl. Die Dörfer werden nun frequentierter, wir erreichen das Umland. Knapp 60 Kilometer legen wir zurück.

 


Stadt mit kriegerischer Vergangenheit


65000 Einwohner leben in dieser Stadt im äußersten Südosten Polens. Die Grenze zur Ukraine ist nur 15 km entfernt. Der breite San fließt mitten hindurch. Auf beiden Seiten haben sich die Menschen angesiedelt. Przemysl, eine Stadt mit Geschichte im hügeligen Vorland der Karpaten. Die zentrale Lage schafft Vor- und Nachteile. Verkehrsgünstig gelegen profitierte man bereits im Mittelalter davon. Diverse Handelswege verliefen durch die Stadt. Das brachte einen Schmelztiegel der Kulturen mit sich. Vielfalt in jeglicher Richtung, besonders im Glauben. Reformierte, Jesuiten oder Katholiken bauten Gotteshäuser. Die andere Seite ist der Krieg.



Przemysl spielte in beiden Weltkrieg eine nicht unwichtige Rolle. Die Habsburger mussten sie vor dem Ersten Weltkrieg die Stadt vor den Russen schützen. Folge war, dass sie zu einer wahren Festung ausbauten. Sagenhafte 140000 Soldaten waren 1914 hier stationiert. Wahnsinn. 1915 hatte man gegen die Russen keine Chance mehr. Die Belagerung gilt als die größte des Ersten Weltkrieges. Nur wenige Monate später eroberte die österreichisch-ungarische Armee Przemysl zurück. Eine Schlacht, die in die Geschichte einging.
Vom Zweiten Weltkrieg blieb die Stadt ebenso wenig verschont. Erst unter der Vorherrschaft der deutschen Truppen, danach an die Russen gemäß Freundschaftsvertrags von 1939 übergeben. Die deutsche Wehrmacht versuchte 1941 erneut Przemysl zurückzuerobern, mit Erfolg. Bis 1944. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab es noch harte Kämpfe zwischen polnischen Partisanen und ukrainischen Nationalisten um das Gebiet. Schlussendlich wurden alle Ukrainer im Frühjahr 1947 zwangsumgesiedelt. Eine konfliktreiche Gegend, jeher umkämpft zwischen den Fronten. Erst der Krimkrieg, danach der Erste Weltkrieg, der die Befestigungsanlagen fast völlig zerstörte, und die Geschichte des 2. Weltkrieges ist bereits erzählt. Noch heute gibt es Spannungen zwischen beiden Völkergruppen. So ist das, wenn unterschiedliche Kulturen in vielen Fragen der Religion, der Sitten und Bräuche, der Lebensauffassung verschieden sind.

Die kleine Altstadt ist sicherlich das Schmuckstück Przemysls. Verschiedene Klöster und Kirchen vermitteln einen religiösen Charme und Vielfalt. Die Orthodoxen und die Römisch-katholischen ließen prachtvolle Gotteshäuser errichten. Unseren Rundgang durch die Innenstadt beginnt am terrassenförmigen, Rynek. Ein wundervoller Platz. Die stolzen Bürgerhäuser umrahmen ihn. Die Kirchen ragen im Hintergrund stolz gen Himmel. Die Habsburger haben ihre Spuren hinterlassen. Allmählich erklimmen wir den Berg hinuf zum Burg. Wieder an Gotteshäusern vorbei. Die Burg ist heute sehr gut erhalten, macht einen soliden Eindruck. Ein Museum und ein Hotel sind darin untergebracht. Sinnvoll genutzt, nennt man das. Die verschiedenen Tafeln informieren über die kriegerische Bedeutung dieser Befestungsanlagen und der Stadt Przemysl überhaupt. Einen wunderbaren, weiten Blick hat man über die Stadt. Der Fluss, die Häuser, die Straßen mit ihren Autos.
Generell macht die Stadt einen aufgeweckten, belebten Eindruck. Zahlreiche kleine Läden und Boutiquen sowie Restaurants und Cafes verleihen dem Stadtbild Individualität. Das Kopfsteinpflaster in der Altstadt den dazugehörigen gewissen Charme. Irgendwie merkt man die historische Vergangenheit der Stadt, auf positive Art.

Kleinstadt Jaroslaw


30km nördlich von Przemysl liegt das Städtchen Jaroslaw mit seinen stattlichen 38000 Einwohnern. Mitten im Karpatenvorland, am Ufer des allmächtigen San. Rundherum sind nur weite Felder, unterbrochen von dichten Wäldern, zu sehen.
Bereits im Mittelalter profitierte man von der günstigen Lage an alten Handelswegen. Die Stadt blühte.
In beiden Weltkrieg wurde die Stadt jeweils stark in Mitleidenschaft genommen. Ganze
Straßenzüge wurden zerstört. Ein Grauen hinterlässt Spuren. Immerhin wurde das Gebiet rund um den Rynek wieder aufgebaut. Die Fassaden bröckeln dennoch, die Farben strahlen nicht gerade im neuesten Glanz. Die stattlichen Patrizierhäuser umgeben den Marktplatz. Dort befindet sich das möglicherweise schönste profane Gebäude der Stadt, das Haus des Bankiers Orchestri. Erbaut wurde es 1570 im Renaissance-Stil. Das Stadtmuseum hat einen angemessene Platz erhalten. Östlich und Westlich, an den Grenzen der kleinen Altstadt, befindet sich jeweils ein Kloster. Auf der einen Seite das Dominikanerkloster mit der Holzskulptur Mater Dolorosa auf dem Altar, der einige Wunder nachgesagt werden. Das Benediktinerkloster liegt auf der anderen Seite, wurde während des Zweiten Weltkriegs als Gefängnis- und Ermordungsstätte der Nazis genutzt.

Lancut und sein Schloss


Auf dem Weg nach Rzeszow passieren wir die Kleinstadt Lancut. Mit der Aussprache hat man es einfach, wie das bayerische Landshut. Kein Zungenbrecher. Über die Stadt gibt es nicht allzu viel zu erzählen, eine normale Kleinstadt eben. Nur eines hat die 18000 Einwohner-Stadt, ein beachtliches Bauwerk, das Schloss. Lancut und sein Schloss, beides ist untrennnbar miteinander verbunden. 1629 begann der Bau, er dauerte über 10 Jahre, architektonisch nach den Wünschen des Auftraggeber Stanislaw Lubomirski. Es ist eine riesige Palastanlage, der Landschaftspark im englischen Stil steht dem in nichts nach. Die Rasenflächen sind top gepflegt, kein Grashalm ist am falschen Ort platziert. Die breiten Wege gliedern sich fantastisch in das Erscheinungsbild. Unter den mächtigen, hundert Jahre alten Bäumen kann man sich besonders im Sommer an einem schattigen Plätzchen gemütlich machen.
Das Schloss ist ein viereckiger Komplex über zwei Stockwerke. Das prachtvolle Hauptportal wird links und rechts von zwei Ecktürmen flankiert. Wirklich wundervoll. Große Berühmtheit erlangte im Laufe der Zeit das Schloss. Persönlichkeiten, Stars und Sternchen, besuchten die Anlage. Fürsten, Adlige, Staatspräsidenten. Es war Zentrum des kulturellen Lebens einer ganzen Region. Heute wird der Schlosskomplex vielseitig genutzt. Der Park ist für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich.

Saal an Saal reiht sich im Inneren. Spiegelkabinett, Ballsaal, Chinesisches Zimmer oder der Ballsaal sind die nennenswerten darunter. Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Außenfassade umgestaltet. Die neobarocken Elemente sind das Ergebnis, welches heute noch erhalten ist. In dem als eines der bedeutendsten Architekturdenkmäler Polens sind einige Museen mit unterschiedlichen Themenbereichen beheimatet. Die Kunstsammlungen der Familien Lubormirski und Potocki ist die spektakulärste Ausstellung. Wertvolle Gegenstände und Exponate sind in Vitrinen zur Schau gestellt. Eine Schlossbibliothek gibt es ebenfalls. Zigtausende Bücher, Bände und sonstige Werke große Dichter, Denker und Persönlichkeiten. Zusätzlich sind in den Nebengebäuden in der Parkanlage Museen installiert. Im ehemaligen Gewächshaus, das heutige Orchideenhaus, werden die für viele schönsten Pflanzen der Welt präsentiert. Die Gattungen der Orchideen reichen von den erdbewachsenen Typen bis zu den Lithophyten und Epiphyten. Jene die auf Gestein bzw. anderen Pflanzen wachsen. Das es so etwas gibt. In der einstigen Wagenremise gibt es eine weitere exotische Ausstellung. Das Kutschenmuseum, die wertvollste Sammlung Polens, mit 80 Karossen. Nicht schlecht. Noch so eines zum Schluss, das Museum des polnischen Jägerregiments zu Pferde. Eine Ausstellung zum Thema Krieg. Die gab es genug in der Region, daher auch die Unmengen an Exponaten aus motorisierten und unmotorisierten Zeiten. Dabei gilt das Hauptaugenmerk dieses besonderen Regiments, das in ganz Europa zum Einsatz kam. Drei individuelle Museen.

Weiter führt uns der Weg auf der breit ausgebauten Bundesstraße Richtung Rzeszow. Einspurig, oftmals zweispurig. Dringend nötig um die schweren Lkws und die langsamen Pkws zu überholen. Mit 100 Km/h düsen wir dahin. Manche Unverbesserlich haben es eiliger, trotz erhöhtem Verkehrsaufkommen. Kolonnenüberholen, von Lücke zu Lücke. Häufig wird die Distanz haarscharf ausgereizt, sicherlich oft fehl eingeschätzt. Gefährlich für alle Beteiligten. Flach geht es dahin, meist nur schnurgeradeaus.

In der Hauptstadt des Karpatenvorlandes

 
Rzeszow, zu deutsch: Reichshof. Ein Zentrum im Karpatenvorland. Ein Wirtschaftszentrum der Luftfahrtindustrie Polens. Die Universität, diverse Hochschulen und das Politechnikum locken Jahr für Jahr tausende Studenten in die Stadt. Junges Rzesow, automatisch vergehen die Stunden schneller. Dementsprechend ist viel los auf den Straßen. Die scheinen fast zu verstopfen. Nur im Schritttempo kommt man in der Innenstadt voran. In einem Parkhaus finden wir einen Platz für das geliebte Automobil. Gerade noch Glück gehabt, es war der letzte Freie.

Ab ins Getümmel, über breite Ampeln in Richtung Rynek. Quer durch die Innenstadt. Vorbei an kleinen Geschäften. Es ist nachmittags 15 Uhr. Wir treffen auf Menschen, Studenten eilen durch die Gassen, Jugendliche schlendern von der Schule nach Hause.
Der Marktplatz. Rynek. Der Treffpunkt in der Stadt. Ein wundervoller, rechteckiger Platz mit enormen Charme. In den Straßencafes kann man sie diesem gemütlich hingeben. Ein Gebäude sticht besonders hervor, das Rathaus. Im neugotischen Stil bestimmt es die Szenerie. Die umgebenden stolzen Bürgerhäuser treten in den Hintergrund. Museen finden in inen ihre Heimat. Darunter eine historische Ausstellung und ein Regionalmuseum mit Trachten und Schmuckstücken aus der kulturellen Umgebung. Darunter, unter der Erde, verbirgt sich ein verzweigtes System aus Gängen und Bunkern. Sie sind im 17. Jahrhundert durch ansässige Kaufleute angelegt worden, die sie als Lagerstätten für ihre Waren nutzten.

Es gibt auch eine Kehrseite der Medaille. Eine traurige Geschichte liegt auf der Großstadt, auf dem Rücken der Menschen. Wieder einmal hat das mit den Nationalsozialisten und dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Die Juden wurden im wahrsten Sinne ausgerottet. 15000 Juden lebten in Rzeszow. 1942 nach der Einrichtung des Ghettos und der Deportation in die Vernichtungslager war das nicht mehr möglich. Massentötungen. Polen und das Grauen des Zweiten Weltkrieg.

Wir haben Hunger. Orientalische Kebab-Imbisse gibt es im Überfluss. Am Rynek gibt es gleich drei, zwei sogar nebeneinander. Der eine ist voll, der andere leer. Die Entscheidung fällt leicht. Der Kebab sieht anders aus als bei uns. Nicht verwunderlich, er heißt bei uns Döner. Eher wie eine Art Dürum, nur mit dünnem, knusprigen Fladenbrot. Darin das Fleisch, das Kraut, die Zwiebeln und die Kräutersoße. Lecker. Schnell haben wir den Happen verdrückt.
Nur der ehemalige Sommerpalast der Fürstenfamilie Lubormirski reiht sich in die dürftige Falance der sehenswerten Bauten in Rzeszow ein. Keine spektakuläre Innenstadt. Rund um den Marktplatz findet man in einigen Gassen Einzelhandelsgeschäfte, in denen mit etwas Glück das ein oder andere Schnäppchen zu erhaschen ist.
Unweit ragt ein Kirchturm in die Höhe. Der gotischen ockerfarbenen Pfarrkirche aus dem 15. Jahrhundert. Dort wartet ein kleines Highlight auf uns. Jeder kennt ihn aus der Werbung, live in Farbe habe ich ihn noch nicht gesehen. Der Coca-Cola-Weihnachtstruck ist vorgefahren, baut seinen Stand gerade auf. Die Musik läuft, die männlichen und weiblichen Hostessen verbreiten gute Laune. Dosen verteilen sie nicht, enttäuschend. Die Menschen sind trotzdem da, fotografieren, knipsen Selfies. Mittlerweile ist die Dämmerung vollständig eingetreten, im Nu ist es dunkel. 16 Uhr. Die LED-Lichter hüllen den typisch amerikanischen Truck in den fabelhaften Glanz der Werbung dieser Weltmarke, die wir alle kennen. das Logo sticht hervor. Marketingtechnisch perfekt in Szene gesetzt. Er verkörpert diesen gewissen amerikanischen Lifestyle der süßen Blubberbrause. Den passenden Song von der früh verstorbenen Melanie Thornton hat man automatisch im Ohr. Klar kommerzieller Wahnsinn, trotzdem wirft jeder nicht nur einen Blick auf ihn. Ein Anziehungsmagnet.
Sonst ist die Stadt von Funktionalität und Pragmatismus geprägt. Viel Wohnraum auf vergleichsweise geringerer Fläche. Haus an Haus reiht sich. Ganze Häuserfronten bestimmen die Straßenzüge, die Plattenbauten sind selbstverständlich eingestreut. Die Autos stehen in den Seitenstraßen Stoßstange an Stoßstange. Die Menschen wohnen zentrumsnah. Alles ist schnell zu erreichen. Ein Vorteil. So gehen wir dahin, auf der Suche noch etwas neues bzw. Spektakuläres zu entdecken und einen Eindruck von der Stadt zu bekommen. Ersteres trifft nicht ein, das Zweite gelingt uns, sehr gut sogar.
Damit nähert sich unser Besuch Rzeszow dem Ende. Die Dunkelheit lässt den Abend einläuten, den Tag ausklingen. Der Weg zum Parkhaus ist nicht allzu weit. Das Parken in Zentrumsnähe macht sich bezahlt. Nur wird es noch einige Zeit dauern bis wir im Hotel ankommen, die Rush Hour verstopft die Straße. Wieder quetschen sich Autos durch Rzeszow. Stop and go. Stop an go. Bis es in flüssigen Verkehr übergeht.
 

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