01 Juli 2015

Tarnow – ein Zentrum Südpolens (Teil 26)



Tarnow soll angeblich eine der schönste Städte im südpolnischen Raum sein. Eine der größten in jedem Fall. Über 130000 Einwohner sprechen die harten Fakten. Wo die Menschen vordergründig wohnen, sieht man sofort. Sozialistischer Wohnungsbau. Platte an Platte. Zehngeschossig. Endlos. Nicht nur die Randbezirke, bis ins Stadtinnere schießen sie empor. Die einen in strahlenden, sanierten Außenfassaden, bei den anderen bröckelt der Putz. Den ostdeutschen Städten Gera oder Halle geht es auch nicht anders.



Wir befinden uns an der nördlichsten Spitze der Karpaten. Dafür ist es außergewöhnlich, welch Temperaturen in Tarnow herrschen. Die Stadt gilt als Wärmepol Polens. Die höchste Jahresdurchschnittstemperatur ist verantwortlich für ein angenehmes Klima.






Tarnow taucht erstmals im 14. Jahrhundert in den Geschichtsbüchern auf. Vor allem Krakauer und Bürger aus Nowy sacz kamen in die Stadt. Die wuchs rasant. Der Anteil der jüdischen Bevölkerung umso mehr. Teilweise waren es 50 % der Einwohner. Gewaltig. Als die Österreicher mit ihrer Monarchie das Zepter übernahmen, gewann man als Handelsstadt an Gewicht und Bedeutung. Von jenen guten Zeiten hat einiges überlebt, sichtbar in einigen Sehenswürdigkeiten.
Uns zieht es ins Zentrum Tarnows. Der Rynek ist unser Ausgangspunkt. Wie so oft. Der Marktplatz besticht durch die umrahmenden historischen Bürgerhäuser, von denen die ältesten aus dem 16. Jahrhundert stammen und dem repräsentativen gotischen Rathaus im Zentrum des Platzes. Im 15. Jahrhundert wurde das sandsteinfarbenen Bauwerk erbaut, später im 16. Jahrhundert erhielt es die charakteristische Renaissance-Attica. Der Rynek erstrahlt dank der sorgfältigen und aufwendigen Sanierung in einem glanzvollen Licht. Das Regionalmuseum Tarnows ist in einem der Bürgerhäuser untergebracht. Kunstsammlungen aus den vergangenen Tagen kann man in den dortigen Räumlichkeiten begutachten. In den Laubengängen haben sich kleine Bierstuben, Cafes und Restaurants angesiedelt. Unmittelbar in der Nähe befindet sich die dreischiffige Kathedrale St. Maria. Ihre Anfänge beruhen auf dem 14. Jahrhundert. Ihr heutiges neugotisches Erscheinungsbild bekam sie im fünf Jahrhunderte später. Im Innern birgt sie mehrere außergewöhnliche Grabdenkmäler, besonders die der Familie Tarnowski, aus Renaissance und Barock.

So erkunden wir zu Fuß die restauriert herausgeputzte Innenstadt. Geschäfte säumen die Flaniermeilen. Der osteuropäische Charme ist nicht von der Hand zu weisen. Die Häuserfronten mit Elementen aus drei Epochen verleihen einen Hauch von Glanz und Gloria. Die erstrecken sich bis zur erhaltenen Stadtmauer.


Ein Trupp von Schülern, sie sind im Teenageralter, marschiert mit Megafon und Lautsprechern zur Mittagszeit durch die Stadt. Lautstark. Vermutlich feiern sie den hart erkämpften Schulabschluss. Die bringen Leben in die Bude. Trotzdem ist die Altstadt recht bebt, einige Menschen sind unterwegs.


Tragische Vergangenheit gibt es auch in Tarnow. Zum einen der Zweite Weltkrieg mit der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung. 1939 waren noch die Hälfte der Einwohner Anhänger des verfolgten Glaubens. Ein Großteil wurde bestialisch ermordet. Im ehemaligen jüdischen Viertel erinnern hebräische Inschriften an Häuserfronten und Fassaden an die ehemaligen Bewohner. Die Synagoge wurde niedergebrannt. Juden starben. Nur die Birma erinnert heute daran.

Zwei Jahrzehnte vorher. Tarnow war ein Schauplatz der umkämpften Schlachten im Ersten Weltkrieg. Im unmittelbaren Kontext steht sie mit der Schlacht von Tarnow-Gorlice. In ihr gelang den Österreichern, unterstützt von den Deutschen, der Durchbruch durch die russische Front. Die Russen hatten 1915 weite Teile Polens bis zum Karpatenkamm eingenommen. Die Soldatenfriedhöfe, vor allem im Umland Tarnows zeugen heute davon. In Tarnow direkt erinnert nur noch wenig an die beiden Weltkriege. Sie sind fast gänzlich aus der Stadt verschwunden, die Spuren zumindest. Nur einige Infotafeln erinnern an diese Vergangenheit.

Es ist eine Zentrum Südpolens. Eine Großstadt, die den Menschen Arbeitsplätze bietet. Eine Stadt, die sich trotzdem herausputzt, in der der Stadtkern mit sehr viel Charme restauriert wurde. Vor allem der Rynek. Vorrangig für die Einheimischen schafft man diese Lebensqualität. Für Touristen ist Tarnow wohl eher nur eine Randnotiz. Das nur knapp 120km entfernte Krakau wirft zu große Schatten voraus.



 

 







 





 





 







 

 

 

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